Jean Baudrillard - sociologist († 2007)


"Fotografie als Zuflucht"
- photography as resort from theory

(links for Jean Baudrillard)

This interview with Jean Baudrillard by Tim Otto Roth appeared also in an English translation in the summer edition of EIKON Heft 45/46, Vienna 2004 and was retranslated for the book Jean Baudrillard – The Disappearance of Culture in 2017.

Jean Baudrillard, notorious French sociologist, cultural critic, and theorist of postmodernity lived in Paris.
Bilder besitzen für Sie stets eine atmosphärische Dimension, das heißt, Sie glauben, Bilder berühren uns unmittelbar. Lässt sich sagen, was uns an Bildern so direkt anspricht ?
metaphysical attraction of images: a short-circuit of reality


"Punto Final 1997"

Für mich kommt es nicht von einer fotographischen Berufung oder von der Kunst her. Was mich anspricht ist ein Kurzschluss von einer Wirklichkeit, von der man vielleicht nie etwas sagen darf. An der Grenze der Theorie oder Analytik gibt es einen Punkt, wo der Welt gegenüber, so wie sie ist, nichts mehr gesagt werden darf. Doch bleibt die Welt hier in einer anderen Form, also das wäre die Umformung, eine Verwandlung des unmöglichen Wortes, der unmittelbaren Wahrheit in einer unmittelbaren Präsenz, also ein Kurzschluß. Das ist ein magischer Gedanke, vielleicht eine Art negative Theologie. Also alles, was nicht erklärt werden kann, das wird in einer anderen Form heraufbeschwört. Das Bild ist näher an dieser Wandlung von einer Form zur anderen, einerVerwandlung der Welt, sagen wir das Werden. Im Gegenzug ist vielleicht der Diskurs, die Theorie, das Wort näher an einem Wesen der Welt. Das Bild ist näher am Werden der Welt, an diesem Hinübergang von Bild zu Bild, von Form zu Form, was auch die poetische Sprache in ihrem Gebiet natürlich ist. Für mich gibt es also eine metaphysische Anziehung.
Sprechen Sie gerade das Mythische in Bildern an?
word and image: literality and singularity Ja, das Mythische oder Literalität, die Singularität. In einem gewissen Sinn ist das Bild doch singulärer als der Diskurs. Der Diskurs ist allgemein auf Universalität eingestellt und das Bild – nicht jedes Bild – aber einige Bilder sind näher an der Singularität. Aber das ist so eine Balance zwischen Wort und Bild. Ich meine, die kommen nicht miteinander, man kann sie nicht verwechseln, sie müssen ganz auseinander bleiben. Aber es gibt eine natürliche Affinität vielleicht, eine geheime Verwandtschaft, jedoch sie bleiben in ihrer Sphäre sehr radikal verschieden. Für das Wort steht die Literalität und für das Bild eher die Singularität.
Was haben Sie für einen persönlichen Bezug zur Fotografie? Praktizieren Sie diese aus einer inneren Notwendigkeit heraus oder ist es gar Leidenschaft?

"Sainte-Beuve 1996"

the object makes for me the mental work

Leidenschaft ist es nicht, sehr lange habe ich das gar nicht praktiziert. Ich gehörte zur alten Generation von Intellektuellen, die gegen das Bildhafte insbesondere gegen die Fotografie eingestellt waren. Es kam eher zufällig: Als ich nach Japan reiste und sie mir dort eine Kamera schenkten, da begann ich, damit zu manipulieren. Für mich war es so ein Hobby und nach und nach zog es mich in das Spiel hinein. Anfangs war es nur in der Fremde. Zusammen mit den Reisebüchern entwickelte sich ein persönliches Engagement, kein ästhetisches. Ich hatte keine natürliche innige Veranlagung, sondern es entwickelte sich erst. Die Theorie oder die Analyse gab es bei mir von Anfang an und sie wird mich wahrscheinlich bis zum Ende begleiten. Für das Bild gilt das nicht. Das Objekt macht für mich die mentale Arbeit. Wenn das Objekt als causa mentale versagt, dann kann ich ganz plötzlich aufhören.
Sie betonen stets den Unterschied zwischen Ihrer theoretischen Arbeit und der praktischen, der Fotografie. Trotzdem, hat irgendwie die praktische Arbeit Ihre theoretische beeinflusst, also diese Erfahrung, die Sie mit Fotografie gemacht haben?
technically I have nothing to say about photography Manche Leute haben eine Beziehung zwischen beiden gefunden und einen besonderen Einfluss. Vielleicht gibt es eine geheime Verwandtschaft. Ich habe über die Fotografie geschrieben und dieses Schreiben hat sich in die Theorie übertragen. Dies war mehr metaphysisch als technisch, denn technisch habe ich über Fotografie nichts zu sagen. Ich bin kein Techniker.
Sie gehen mit beidem jetzt in die Öffentlichkeit, mit Texten und mit Fotografien. Gibt es da Unterschiede?
Mit der Fotografie ist das gar nicht gewollt. Das kam von alleine, weil Leuten die Bilder gefielen. Die haben dann das Ganze organisiert, ich habe nichts groß dazu getan. Anders jedoch in der Theorie, dort bin ich der chef d’œuvre, der Werkmeister, geblieben.
Wenn Sie über Ihr fotografisches Arbeiten sprechen – gehen Sie meistens weniger auf das konkrete Bild ein, sondern Sie sprechen vielmehr vom Akt des Fotografierens. Folgere ich richtig daraus, dass der Prozess bei Ihnen wichtiger ist als das Produkt?

"Zeebrugge 1992"

the moment as essence of photography

Ich glaube ja, einfach, weil die Lust am Fotografieren gerade im Moment liegt. Der Moment ist für mich das Wesentliche, er macht den ganzen Zauber der Fotografie aus. Es ist sehr augenblicklich, sehr unmittelbar.
Wenn ich etwas aufgeben müsste, dann würde ich die Ausstellungen, wo es um ein soziales Gefallen geht, aufgeben, nicht das Fotografieren an sich. Aber ab einem gewissen Punkt hörte das Fotografieren auf, ein Akt mit Kamera und Bildern und Resultaten zu sein. Es ist ein reines Moment, bei dem man mit dem fotografischsten Blick durch die Welt gehen kann, ohne ein Bild aufzunehmen. Die ganze Welt ist dann in ein Bild umwandelbar, man sieht alles durch das Objektiv.
Sie sprachen in Kassel davon, dass Sie Vilém Flusser persönlich gekannt haben. Wenn Sie jetzt vom Akt des Fotografierens sprechen, da assoziiere ich automatisch im Hintergrund seine „Geste des Fotografierens“. Haben Sie sich eigentlich mit Flusser auch über Fotografie unterhalten?
I don't follow
Flusser in practice
Nein, wir haben über alles Mögliche geplaudert und bloß nie über Fotografie. Aber ich habe alles gelesen und besonders seine Theorie über den eigenen Willen des Apparats und des Objektivs. Damit die Kamera funktioniert, müssen wir also zu Operateuren der Technik werden. Es war eine Aussicht, eine Einsicht in die Technik, die gar nicht gewöhnlich war, eine Umtheorisierung der Technik. Ich handle gar nicht nach diesem Prinzip. Aber ich fand das wirklich sehr originell.
Da möchte ich noch ein wenig nachhaken, denn in Kassel gestanden Sie, dass Sie Ihrem Apparat eigentlich blindlings vertrauen.
Ja.
Spüre ich jetzt hier ein ähnliches Vertrauensverhältnis zu Apparaten heraus, wie es einst Arnold Gehlen für die Institution postulierte? Also, jetzt einfach einmal übertragen, Fotografie als apparative Institution der Selbstvergewisserung mit einer gewissen Entlastungsfunktion?

"Bogotà 1996"

resort from theorie in the magic of trivial images

Ja, sicher. Anfangs ging es um Zerstreuung. Ich hatte die Theorie ein bisschen satt, übersatt, und ich wollte woanders hin „flüchten“.
Insbesondere war ein Grund, Bilder zu machen, daß nicht davon gesprochen werden mußte – also eine negative Definierung. Die Fotografie ist eine Zuflucht, weil in dem Bereich für mich alles bezaubernd, gefällig ist. Das ist eine reine Lust. Auch von den gewöhnlichen Bildern, trivialen Bildern geht für mich eine Art Magie aus, eine Zauberkraft. Ich bin immer so neugierig, bildergierig. Ich finde Zuflucht oder Trost. Es ist aber keine Therapie. Selbst wenn ich Hunderte von Bildern mache, die gar nichts werden, ist das keine tiefe Enttäuschung. Es ist so eine Art geheime Aktivität im Gegensatz zu meiner Arbeit mit Texten oder mit Konzepten, wo ich doch mehr Stolz habe und auch Enttäuschung erfahre.
Eins, was Ihnen und Flusser stets gemein ist, ist Fotografie, zumindest die Geste des Fotografierens, primär nicht als kommunikativen sondern kontemplativen Akt zu begreifen. Für Flusser zielt die Geste des Fotografierens darauf ab, etwas zu betrachten und das Sehen zu fixieren und auch es zu formalisieren. Wie sieht es bei Ihnen aus, wenn Sie mit Ihren Formalisierungen an die Öffentlichkeit gehen, gibt es da ein Spannungsverhältnis?
Ja, ich meine, man kann das auseinander halten, es ist ein Moment der Betrachtung, also ein innigstes, geheimes, eigenes Spiel. Die Veröffentlichung oder die Ausstellung haben manchmal etwas Unheimliches, weil man sich fragt, ob das Eigenartige des Moments sich auch in der Betrachtung einstellt.
Sie betreiben ja in gewissem Maße auch einen Formalisierungsprozess beim Fotografieren, Sie sprechen vom Fotografieren, immer als eine Art von Verschwindenlassen, ein Wegnehmen von Bedeutungen. Das klingt ja fast wie eine fotografische Zen Meditation
the will to let disappear the world Das kommt von einem ganz bestimmten Willen, die heutige Welt, also unsere aktuelle Welt verschwinden zu lassen und dies zu Ende zu spielen. Es ist eine Kunst des Verschwindens. Das gehört zu unserer Welt, ich sehe diese Referenzen zu anderen Kulturen nicht so.
Sie müssten eigentlich ein Faible für den digitalen Pixel haben. Bei diesem digitalen Bildelement ist der Bildinhalt schließlich total formalisiert.
the virtual image is no image it is a synthetic object Aber das ist mir ganz zuwider. Ich bin gar nicht ideologisch eingestellt, sondern einfach praktisch unfähig und natürlich mental unfähig, einen Computer zu behandeln. Ich habe eine Digitalkamera, aber ich kann nichts damit anfangen. Es gibt in mir einen sehr tiefen, nicht negativen sondern positiven Widerstand. Für mich ist das virtuelle Bild, das da herauskommt, kein Bild mehr, das ist ein synthetisches Objekt. Gerade die Singularität des Bildes, dieses lebendige Duell, die Präsenz und dualistische Präsenz des Objekts ist nicht mehr da, da man alles konstruiert. Für mich liegt das außerhalb der Spielregeln. Vielleicht kommen wir gerade ans Ende der echten Fotografie.
Kommen wir noch mal auf den klassischen Formalisierungsprozess der Fotografie zurück. Wenn von einem Objekt durch den fotografischen Akt ein Bild entsteht, sprechen Sie von „Décarnation„ als einem Prozeß der Entfleischlichung.
photography as process of abstraction Ja, ein Prozeß der Verflüchtigung, des Verschwindens in gewissem Sinne. Am Anfang steht ein Prozeß der Abstraktion. In der Fotografie kommt die Welt nicht mehr in drei Dimensionen, sondern nur in zwei und möglicherweise ohne Farbe, ohne Lärm, alles subtrahiert, alles abstrahiert. Die Welt an sich auch in Fleisch und Blut ist schon für mich im zweiten Level. Es gibt keinen primären Level, eine Verfleischung, es gibt so schon immer etwas Abstraktes.
Sie meinen, dass der Mensch eigentlich kein Naturwesen ist, sondern schon immer ein Kulturwesen ?

"Bastille 1998"

the world is illusion,
it has no reality

Nicht Kultur, ich meine, am Anfang steht eine Dualität, sogar in der Natur. Es gibt keine Natur in diesem Sinne oder die Naturregel ist die der Entzweiung, der Zweideutigkeit, des Doppelgängertums. Das Bild ist auch ein Doppelgänger. Jeder Mensch hat von vornherein über das Unbewusste hinaus ein Doppeltes, einen Zwilling, vielleicht einen Schattenzwilling. Wir müssen damit handeln. Die Kultur verstärkt dies natürlich, diese Entzweiung tritt natürlich schärfer hervor.
Für mich geschieht das von Natur aus. Warum? Weil die Welt für mich eine Illusion ist, sie ist keine Wirklichkeit. Wenn sie wirklich wäre, also Fleisch und Blut, wirklich, dann würde sie eins sein. Die Illusion ist der Fakt, dass die Welt gar keine Wahrheit an sich hat, gar keine Tiefe, ständige Wirklichkeit. Vielleicht liegt darin der Grundimpuls, Bild zu werden, Abstraktion zu werden oder etwas Anderes zu werden. Singularität kommt mit Alterität zusammen, das ist ein Spiel von den beiden. In diesem Spiel ist das Bild, aber auch das Wort und allerlei so ein Mittel, eine Vermittlung.
Wenn ich nun das fotografische Bild vor mir habe in Form einer gedruckten Abbildung oder auch als Wandbild, dann habe ich ja auch ein Objekt vor mir, das heißt, gewissermaßen verfleischlicht sich dann ja auch das Bild.
Sie meinen, dass das Bild selbst auch ein Objekt ist?
Ja, natürlich.

there is no transcendence
Ja, das ist das wirklich Interessante aber auch Paradoxe, dass man das Objekt als ein Objekt wieder ausliefert. Für mich ist das fotografische Bild ein Objekt, ein Objektbild oder Bildobjekt. Darum nehme ich sie nicht als ästhetische, als Kunstobjekte, sondern als reine materielle und literale Objekte. Literalität des Objektes bedeutet ein Objekt unter Objekten und kein Objekt mehr zu sein. Natürlich unterscheidet sich die Welt, wie sie ist, von der fotografierten Welt. Meine Theorie wäre, dass es im Grunde keine Transzendenz gibt, dass alles, was sich als Bild vorgibt oder als Deutung, als Spiegelbild, alles auf derselben immer schon abstrakten Ebene agiert und reagiert.
Sie bezeichnen Fotografie als eine „écriture automatique“ des Lichts. Ich denke, Vilèm Flusser würde da intervenieren, indem er argumentiert, daß Fotografie schon immer auch Manipulation sei und zwar, da der Fotograf durch die Wahl von Ort, Zeit und Ausschnitt bereits vor dem Auslösen das Bild entscheidend mitbestimmt?
a game between object and objective as process without me Ja, das ist paradox. Natürlich bin ich immer da und ich knipse natürlich auch die Kamera. Im Grunde ist es ein Spiel zwischen Objekt und Objektiv. Der Prozeß geht ohne mich vor sich. Ich bin in dem Spiel irgendwo dazwischen, aber ich weiß nicht genau, wie und ich will es auch nicht genau wissen.
Darüberhinaus würde Flusser einwenden, daß beim automatischen Schreiben das Objekt noch einen wesentlichen Mitkonkurrenten hat: den Fotoapparat selbst. Flusser macht deutlich, daß der technische Prozeß des Fotografierens nach bestimmten Programmen vonstatten geht. Besteht da nicht die Gefahr, dass der Apparat das Objekt überzieht, überlagert?
the world in itself Ja, vielleicht. Aber es wäre immer so ein Spiel der Welt mit sich selbst. Natürlich ist die Technik, die reine Abstraktion, im allgemeinen etwas von Menschen Fabriziertes, Produziertes. Aber im äußersten Stadium des Prozesses glaube ich wird sie „acheiropoietisch“ also nicht von menschlichen Händen gemacht, es entweicht ganz und gar dem menschlichen Willen und der menschlichen Vorstellung und es funktioniert aus sich selbst. Dann wird es die Welt an sich.
Liegt das vielleicht daran, dass diese ganze programmatorische Vorgeschichte, die einen riesigen technologischen Aufwand beinhaltet, sich zeitlich so eng in diesem kurzen Klick verdichtet?
the short click as an evaporation of the technical construction

"Corbières 1992" (selfportrait in mirror)
Ja. In diesem kurzen Klick sammelt sich die technische Vorbereitung und im selben Moment ist es ein Verschwinden dessen. Alles, die ganze Konstruktion, verflüchtigt sich. Das ist die Magie dieses Augenblicks. Es ist kein technisches Produkt, wie die materiellen Produkte, die durch die Industrie kommen. Es liegt mehr in dieser Augenblicklichkeit, in diesem magischen Moment der Fotografie. Die beste, die perfekte Fotografie ist die „akeo-poetische“, also die, die sich automatisch hervorbringt, ganz so wie Warhol es mit den Bildern beabsichtigte, die alle von selbst entstehen. Der Künstler hat damit vielleicht nichts zu tun, er ist nichts mehr, er hat diese Zen Stellung erobert.
Sie definieren, wenn Sie über Simulation sprechen, dass Tatsachen aus einer Schnittstelle von Modellen entstehen. Das beschreibt für mich eigentlich ziemlich treffend, wie Naturwissenschaft sich heute ein Bild von der Welt macht: ein gegenseitiges Durchdringen, Überlagern, Überblenden von Modellen.

photography as antidote for art

Ja, natürlich sind die meisten Bilder, mit denen wir zu tun haben, modelliert. Sie stammen von Stereotypen oder Modellen, sie sind somit Simulation. Aber gerade die echten Bilder, die fotografischen Bilder oder Kunstbilder, die kommen nicht daher. Sie gehen – das ist vielleicht eine Utopie – über die Modelle hinaus und sie kommen zu jener Singularität, zu dieser unmodellierten Unvergleichlichkeit. Es existiert ein alter Gegensatz zwischen Simulation und Illusion. Es ist das Urspiel der Illusion, dass es keine Wahrheitsmodelle, keine Wirklichkeitsmodelle gibt. Vielleicht kann man doch wieder zu diesem Spiel gelangen durch Vermittlung, Bildervermittlung oder Worte. Das wäre die Wiederheraufbeschwörung der Illusion gegen die Simulation, gegen die Modelle, auch gegen die Kunstmodelle, gegen alles, was schon ein „system de valeur“, ein Wertesystem darstellt. Darum wäre auch für mich die Fotografie ein Gegenmittel gegen die Kunst, gegen das Ästhetische, gegen die ganze Ästhetisierung der Welt. Ich ziehe die Alltagsbilder, die Apparenzen vor - etwas, das keinen Wert an sich und besonders kein System an sich hat.
Henry Fox Talbot war sich unsicher bei der Einordnung des Bildgewinnungsprozesses. Einmal spricht er von „invention“ und das andere Mal von „discovery“. Wo tendieren Sie hin, mehr zur Erfindung oder mehr zur Entdeckung?
the object invents and discovers us Es ist etwas Wechselseitiges, ein Gegenüber oder Gegeneinander. Wir können sagen, wir erfinden die Dinge, die Wissenschaft erfindet oder entdeckt. Ich möchte sagen, das Objekt entdeckt uns und erfindet uns auch.
Also eine wechselseitige Beziehung zwischen Bildopfer und Bildforscher?
Voilà.
Musik arbeitet eigentlich mit sehr wenig Referenzen, also ein Klang hat keine Bedeutung. Wenn Sie jetzt in Ihrer fotografischen Arbeit versuchen, Sinn oder Bedeutung zu reduzieren oder gar zu eliminieren – übernehmen Sie dann gewissermaßen eine Musikalisierung ?
in music the ordinary world has disappeared Ist das ein Kompliment, wenn Sie sagen „das ist ganz wie Musik? Musik ist von vornherein frei von Sinn und Sprache. In der Musik ist die gemeine Welt, die wirkliche Welt schon verschwunden, sie bleibt in der Schwebe. Ich bin nicht für Schwierigkeiten an sich, aber man muss das erreichen: man muss durchbrechen, es muss einen Durchbruch geben.
Das reizt Sie am Bildermachen...
Ja,ja.
Merci beaucoup Monsieur Baudrillard!
Je vous en prie.
interview by Tim Otto Roth from 18 March 2004 in Paris

Links for Jean Baudrillard:

Jean Baudrillard at wikipedia (English)
Jean Baudrillard at Learnstuff
(English)
Dossier über Jean Baudrillard, ZKM Karlsruhe (Deutsch)

Publikcations:

Latest exhibtion:

This interview with Jean Baudrillard appeared also in an English translation in the summer edition of EIKON Heft 45/46, Vienna 2004.

English retranslation published 2017 in: Jean Baudrillard – The Disappearance of Culture, uncollected interviews edited by Richard G. Smith, David B. Clarke(Edinburgh University Press) 2017.